10. Oktober 2024
PDS Eupen (2023)

Ehemaliger Gerichtspräsident Rolf Lennertz: „Unsere Kriminalität ist recht überschaubar“

Rolf Lennertz ist ehemaliger Präsident des Eupener Gerichts und arbeitet heute immer noch als Aushilfsrichter am Eupener Gericht. Im Interview spricht er über seine Tätigkeit sowie über die Kriminalität in Ostbelgien und räumt mit Vorurteilen auf.

Von Svea Berges und Timea Heinzl

Denken Sie, dass die Kriminalität in Ostbelgien steigt?
Nein, eigentlich nicht. Ostbelgien ist keine Insel der Seligen, aber unsere Kriminalität ist dennoch recht überschaubar, vor allem Dinge wie Schwerkriminalität. Große Plage sind immer Diebstähle und Einbruchdiebstähle. Wir haben hier in den letzten Jahren mehrere Wellen gehabt. Wen man erwischt, das sind meistens die Handlanger. Die Auftraggeber, die sitzen irgendwo, wo man sie nicht findet, und die Leute, die man erwischt, die reden nicht darüber, wer ihnen die Aufträge gibt. Ansonsten gibt es viele Fälle von Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz. Häufig gibt es auch Fälle von häuslicher Gewalt. Und viele Ermittlungen, die sich mit Sexualstraftaten beschäftigen. Von Männern, die zum Beispiel mit Kinderpornografie auf dem Computer erwischt werden. Es hat sich immer noch nicht rumgesprochen, dass es in Amerika eine Behörde gibt, die kontrollieren kann, wohin kinderpornografisches Material verschickt wird. Diese kann dann die hiesige Behörde benachrichtigen. Banküberfälle, Morde und Vergewaltigungen, also so richtig schwere Kriminalität, die gibt es hier auch, aber nicht in so großen Massen.

Waren Sie schon immer in Ostbelgien tätig?
Ich war hier, seit der Gerichtsbezirk Eupen Anfang September 1988 gegründet worden ist. Erstmal als Richter für drei Jahre, dann habe ich die Staatsanwaltschaft geleitet, dann das Prokurat des Königs 21 Jahre lang, dann war ich fünf Jahre lang Gerichtspräsident – und dann bin ich in Rente gegangen. Jetzt arbeite ich noch so ein bisschen nebenbei.

Wie hoch ist die Arbeitsbelastung eines Richters?
Für einen Richter ist die Arbeitsbelastung relativ hoch. Das liegt vor allem daran, dass oft der Stellenplan nicht vollständig ist. Es gibt im Gericht Erster Instanz sechs Richter. Letztens ist eine Richterin nach Lüttich an den Appellationshof befördert worden, und eine Richterin ist pensioniert worden. Anstatt zu sechs ist man also nur noch zu viert. Mit meiner Hilfe – ich bin ja nicht volltags hier und helfe nur aus – sind es 4,5 Richter von eigentlich sechs. Es gibt viel zu tun, wenn man das GrenzEcho liest. Aber selbst da sieht man nur die Spitze des Eisberges, das Strafgericht. Hier am Gericht gibt es aber auch Strafkammern, Zivilkammern, Familienkammer, Steuerkammer und Jugendkammer. Scheidungen, Streitigkeiten zwischen Eheleuten ums Sorgerecht, Unterhalt, Besuchsrecht für Kinder, alle Konflikte von Bürgern mit der Steuerverwaltung – das landet alles hier. Es gibt auch sehr viele Jugendakten. Die Tendenz steigt am Gericht seit Jahren.

Wie sieht der Alltag eines Richters aus?
Richter arbeiten immer ganztags, sonst würde man das nicht schaffen. Es ist aber so, dass man als Richter nicht von 9 bis 17 Uhr im Büro sein muss. Ein Richter kann sich durchaus Akten mit nach Hause nehmen, weil er dort vielleicht auch ruhiger arbeitet und die Urteile zu Hause schreiben kann. Er muss aber da sein, wenn die Sitzungen sind. In Eupen war es eigentlich schon immer so, dass die Gerichtspräsidenten erwartet haben, dass die Richter in der Regel während der Bürozeiten anwesend sind. Die Justiz ist allerdings nicht überall so gut untergebracht wie wir hier. Früher waren die Gerichte von Eupen an mehreren Standorten verteilt. Da musste man also auch noch dauernd hin und her laufen mit den Akten. Jetzt ist hier alles zentralisiert.

Nehmen Sie auch Arbeit mit nach Hause?
Ich, als Richter habe mir zu Gewohnheit gemacht, ab dem Moment, in dem ich ein Urteil gesprochen habe, mir keine Gedanken mehr darüber zu machen. Sonst wird man ja verrückt. Richter sind Menschen und können natürlich auch etwas falsch machen.

Dürfen Sie einen Fall ablehnen?
Ja, wenn ich Personen zu gut kenne oder wenn jemand aus meiner Familie vor Gericht steht. Ich kann nicht sagen, dass ich einen Fall ablehne, nur weil ich keine Lust habe.

Wie gehen Sie mit Problemen wie Tränenausbrüchen oder Aggressionen im Gerichtssaal um?
Im Strafgericht sind immer zwei Polizeibeamte, die sich um solche Situationen kümmern. Es hat in der Vergangenheit auch schon Ausraster gegeben, aber dann sind sehr schnell die Polizisten gekommen, um die Leute zu beruhigen. Bei Tränenausbrüchen muss man versuchen, freundlich zu bleiben und die Leute ein bisschen zu trösten. Selbst wenn vor Gericht ein Mörder oder ein Vergewaltiger stehen würde, schreien die Richter ihn nicht an. Egal, welche Person vor Gericht steht, die Richter müssen immer höflich bleiben.

Was war denn ihr lustigster Fall?
Ich habe eine lustige Geschichte zu erzählen. Ein Mann war mal Angeklagter an meinem Gericht. Und ich hatte ihn damals freigesprochen. Damit hat er aber gar nicht gerechnet. Er war fest davon überzeugt, eine Strafe zu bekommen. Monate später ist er dann wieder zu mir gekommen und wollte sich bedanken. Ich habe ihm natürlich gesagt, dass er sich nicht zu bedanken braucht. Ich habe ihn freigesprochen, weil ich der Meinung war, dass er unschuldig sei. Dann aber machte er sein Hemd auf und zeigte mir seine Brust, auf der er sich meine Unterschrift hatte tätowieren lassen.

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