Bestimme deine Zukunft mit – Unsere Zukunft in der EU
Am 9. Juni 2024 findet in Belgien die Europawahl statt. Erstmals dürfen junge Wähler ab 16 Jahren zur Wahlurne gehen und mitbestimmen, wer für sie in das EU-Parlament für die nächsten fünf Jahre einzieht. Wir haben Pascal Arimont, der seit 2014 als EU-Abgeordneter für Ostbelgien im Amt ist und zur Wiederwahl 2024 antritt, zu mehreren Themen, die uns bewegen, befragt.
Was hat Sie dazu bewegt, in die Politik zu gehen?
Mit 16 habe ich mich schon für Politik interessiert, weil ich verstehen wollte, wie die Welt funktioniert. Als ich Mitarbeiter im EU-Parlament war, habe ich beschlossen, einer Partei beizutreten, mich zu engagieren, um selbst vielleicht mal an den kleinen und großen Rädchen dieser Welt mit drehen zu können. Heute darf ich in meiner Funktion Gesetze mitschreiben, die für 450 Millionen Menschen in Europa gemacht werden. Das ist etwas, was sehr verantwortungsvoll ist und was ich sehr gerne tue.
Warum vertreten Sie die CSP oder die EVP?
Wenn man Politik machen will, muss man sich für eine politische Richtung oder Partei entscheiden, und ich habe mich schon als junger Mensch sehr klar dafür entschieden, in die CSP zu gehen. Erstens, weil für mich die christlichen Werte nach wie vor etwas Wichtiges sind. Zweitens, weil man den Menschen an sich in den Mittelpunkt stellen und versuchen sollte, ihm da zu helfen, wo er ist, unabhängig davon, wer oder was er ist.
Die EVP ist die europäische Parteienfamilie der christdemokratischen Parteien. Da fühle ich mich sehr wohl, weil sie als Partei der Mitte versucht, an für die Menschen guten Kompromissen zu arbeiten. Ich mag nicht, dass man mir erklärt, wie ich zu denken habe. Jedes Problem ist an sich anders und dementsprechend sollte man das mit immer anderen Perspektiven angehen und versuchen zu lösen – nicht immer mit Schema F und auf Basis einer unverrückbaren Ideologie.
Wie wichtig ist die EU für uns alle und warum scheint sie vielen so weit weg zu sein?
Die EU ist für die Probleme zuständig, die unser Leben jeden Tag bestimmen. Die EU definiert den großen Rahmen u.a. für Wirtschaft, für Landwirtschaft oder Klimaschutz. Bei der Überlegung dieser Regeln muss man bei jeder Entscheidung auch ganz weit in die Zukunft schauen. Zudem funktioniert EU-Politik über die verschiedenen Institutionen. Die EU ist kein Staat, sondern ist eine Zusammenarbeit von 27 Staaten und dem EU-Parlament. Wir haben keine europäische Regierung, was die Politik der EU weniger greifbar macht. Dennoch hat alles, was ich mitentscheiden darf, ein sehr konkretes Resultat im Alltag. All unsere Normen, die dazu führen, dass wir gesundes Wasser, gesunde Luft, gesundes Essen, etc. haben, all das wird durch die Europäische Union definiert, ist also euer Alltag. Die EU hat dafür gesorgt, dass auf diesem Kontinent seit 80 Jahren kein Krieg mehr war. Welche wichtige Rolle die EU spielt, sehen wir jetzt auch rund um den Ukraine-Krieg: die Ukraine war nicht Teil der EU, war nicht Teil der Nato und wurde angegriffen.
Was man besser machen könnte, ist, dass die EU schneller entscheiden müsste, und Europa als Kontinent sich vielleicht etwas selbstbestimmter verwaltet.
Sehen Sie die Gefahr, dass noch mehr Länder aus der EU austreten werden?
Aktuell nicht. Ich sehe eher die andere Tendenz, nämlich dass im Moment neun Länder der EU beitreten wollen. Die Briten sind aus der EU ausgetreten und merken gerade, dass man allein in dieser großen Welt, wo die Machtzentren anderswo immer größer und stärker werden, nicht so gut dasteht. In China und Indien wohnen mittlerweile 1,3 Milliarden Leute. Wir sind 450 Millionen, also im Vergleich dazu sehr klein. Es ist vorteilhaft, wenn man zu so einem großen Club gehört. Erstens um sich zu verteidigen, zweitens um wirtschaftlich stark zu sein und zu bleiben.
Der Krieg in der Ukraine zeigt nochmal, wie gefährdet man ist, wenn man nicht Teil eines großen Vereins ist. Wenn Länder wie Polen, die Tschechische Republik, Rumänien oder die baltischen Staaten nicht Teil der EU wären, hätte Putin weitaus weniger Skrupel, in diese Länder einzumarschieren.
Was ist Ihrer Meinung nach die größte Schattenseite der EU?
Ein großer Nachteil ist, dass sich die Mitgliedstaaten ab und an uneinig sind. Im Laufe der letzten Jahre haben wir viele Krisen gekannt und auch gut gemeistert. Das hatte der EU niemand zugetraut. Die EU wird daher dann als nicht effizient wahrgenommen, wenn sie nicht zusammensteht. Dazu muss man wissen, dass in einigen Bereichen ein Vetorecht für die einzelnen Mitgliedsländer besteht. Von diesem Vetorecht machen die Mitgliedstaaten auch ab und zu Gebrauch. Ungarn konnte zum Beispiel immer damit drohen, dass es einen Vorschlag der anderen Mitglieder blockiert, wenn die anderen seinem Ziel nicht folgten. Davon finde ich, müssen wir weg. Besser wären Mehrheitsentscheidungen. Diese würden zu schnelleren und besseren Beschlüssen führen.
In diesem Jahr dürfen erstmals 16- und 17-Jährige an den EU-Wahlen teilnehmen. Was halten Sie davon?
Ich finde das gut, insofern man den 16- und 17-Jährigen auch dabei hilft, eine objektive Entscheidung zu treffen. Ich habe ganz viele Schulen besucht, auch kommen viele Schulen nach Brüssel und Straßburg. Dort versuche ich dann, zu erklären, wie die EU funktioniert, welche Rolle das Parlament spielt und wie Entscheidungen getroffen werden. Der beste Ort darüber zu informieren, ist aber die Schule Selbst. Die Lehrer können und sollen objektiv erklären, wie Politik funktioniert. Der Jugendliche sollte sich dann auch selbst damit beschäftigen, um die Unterschiede zu verstehen und eine bewusste, eigene Entscheidung zu treffen.
Wie würden Sie Jugendliche motivieren, zur Wahl zu gehen?
Ich sage: Wenn ihr wählt, bestimmt ihr eure Zukunft mit. Ich darf im Moment Gesetze mitschreiben, die die Weichen dafür stellen, wie wir in 20 Jahren leben werden. Darum sollten sich die Jugendlichen einbringen und mitbestimmen. Jugendliche sollten sich auch dafür einsetzen, die EU zu wahren, denn ohne Europa würden wir sehr viel von unserer Art, in Freiheit und Selbstbestimmtheit zu leben, aufgeben. Auch unseren Wohlstand würden wir ohne die EU in Gefahr bringen, weil jedes Land wieder selbst sein eigenes Süppchen kochen und eigene Regeln machen würde. Für die Unternehmen wäre das eine Katastrophe – gerade hier im Grenzgebiet.
Woran arbeiten Sie aktuell?
Geoblocking
Neben den Südtirolern und noch ein paar anderen kleinen Regionen mit sprachlichen Minderheiten haben wir Ostbelgier mit diesem Problem zu kämpfen. Weil eher kleine Regionen betroffen sind, ist es kompliziert, eine europäische Regel zu finden, die erreicht, dass wir alles, was wir wollen, aus Deutschland schauen dürfen. Das liegt daran, dass z.B. Filmproduzenten ihre Produkte gerne nicht nur einmal, sondern in die verschiedenen EU-Staaten verkaufen wollen. Die so genannten Lizenzen für Filme und Serien werden also immer für jedes Land einzeln vergeben. Ein Ansatz unserer Arbeit ist es daher, dafür zu plädieren, eine Ausnahme für diese kleinen Gebiete zu machen und uns zum Lizenzgebiet von Deutschland hinzuzufügen, da wir von dort die Inhalte in unserer Muttersprache beziehen. Ich habe das Mal als „Ostbelgien-Klausel“ bezeichnet.
Glasfasernetz in Ostbelgien
Glasfaser hat mittlerweile so einen Stellenwert wie früher Strom und Wasser. Viele Menschen und Unternehmen brauchen ein schnelles Internet, um überhaupt arbeiten zu können. Deswegen versucht man in ganz Europa, Projekte zu finanzieren, die das ermöglichen. Ich habe mich sehr stark dafür eingesetzt, dass die Kriterien so sind, dass man mit EU-Geld auch in Ostbelgien Glasfaser finanzieren kann. Das haben wir auch erreicht. Deshalb bin ich froh, dass es endlich losgeht. Bis 2026 soll jeder Haushalt zumindest das Angebot bekommen haben, Glasfaser haben zu können.
„Verbot von Verbrennermotoren”
Ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass die Entscheidung nicht gut war, weil sie überstürzt getroffen wurde. In meinen Augen kann das jetzt und auch noch nicht im Jahr 2035 funktionieren. Damit es Sinn machen würde, elektrisch zu fahren im Hinblick auf eine Klimaneutralität, brauchten wir Strom, der zu 100 Prozent nachhaltig produziert wird: den haben wir aber im Moment nicht. Wir brauchen Batterien, die zu 100% nachhaltig produziert werden. Die haben wir noch nicht. Zudem sind viele Rohstoffe zur Produktion der Batterien nicht in unserer Hand. Außerdem brauchen wir ganz viele Ladestationen, wenn jeder ein Elektroauto fahren würde. Die haben wir noch nicht. Das könnte insbesondere auf dem Land ein Problem werden. Ich bin nicht gegen E-Autos, ich bin nur gegen ein Verbot anderer Antriebsarten.
Sicherheit im Netz
Internet und Social Media haben viele positive Seiten, die will ich gar nicht verkennen, aber sie haben auch ganz dunkle Schattenseiten.
Soziale Medien sind große Geldmaschinen, die unsere Aufmerksamkeit benutzen, um sehr viel Werbung zu verkaufen. Das ist die Gefahr. Eine Gefahr, die uns Teil dieser Maschinerie werden lässt, wenn man sich auf die Logik der Algorithmen einlässt, die einem immer mehr, immer das Gleiche, immer Negatives verkaufen wollen, damit man in den sozialen Medien bleibt. Deswegen bin ich dafür, für Kinder und Jugendliche sehr strikte Regeln festzulegen, was die Nutzung dieser Dienste angeht.
Mittlerweile hat beinahe jedes achtjährige Kind mit dem Handy illegal einen TikTok-Account eröffnet. In diesem Alter kann man den Inhalt, den man sieht, noch nicht kritisch hinterfragen. Was die Kinder auf ihrem Handy zu sehen bekommen, ist furchtbar: extreme Gewalt, Pornografie, Mobbing, rechtsextreme Propaganda. Ich finde, wir müssen das verbieten und deswegen kämpfe ich wie ein Löwe dafür, dass wir strenge Regeln einführen.
Wie gehst du damit um, wenn du als Politiker angegriffen wirst?
Solange Kritik objektiv ist oder so lange Kritik in einer korrekten Art formuliert wird, habe ich damit überhaupt kein Problem. Sobald das pauschal gegen alle Politiker wird, nach dem Motto „Alle Politiker sind Mist“, dann fängt es an und wird zum Problem.
Kritik darf nicht persönlich werden, sie darf nicht unter die Gürtellinie gehen oder sie darf nicht zu einem Molotowcocktail an meinem Haus werden, das ist nämlich auch schon passiert. Dann überschreitet man Grenzen. Wenn man mit meiner Meinung nicht einverstanden ist, dann ist das so. Ich kann niemanden dazu zwingen, etwas zu denken oder zu glauben, was ich ihm erzähle. Ich bin sehr offen für Kritik. Ich nehme sie auch gerne auf und versuche sie, wenn sie berechtigt ist, in meine Arbeit einzubringen.
Alissa Harth und Zoé Margreve – Foto: Europäisches Parlament